Strafrecht


Aug um Aug

Vor wenigen Wochen hat der Justizminister einen Gesetzesentwurf vorgelegt, wonach das Erwachsenenstrafrecht künftig schon für 18jährige gelten soll anstatt wie bisher ab 19.

Das Jugendgerichtsgesetz 1988 hat den Geltungsbereiches des Jugendstrafrechtes von 18 auf 19 Jahre hinaufgesetzt, um "auf altersbedingte Krisensituationen Heranwachsender maßvoller reagieren zu können". In der Altersgruppe der 18 bis 20jährigen zeigt sich ein Anstieg der Straffälligkeit, wobei diese ab 21 wieder absinkt. Gesetzesverstöße in dem "kritischen Alter" sind also keineswegs als Beginn einer kriminellen Karriere anzusehen. Die Praxis des Jugendgerichtsgesetzes 1988 hat sich bewährt. Von keiner Seite wurde das Bedürfnis geäußert, etwas zu ändern.

Zweck des Jugendstrafrechtes ist vor allem, den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten. Die Strafdrohungen in Jugendstrafsachen sind gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht auf die Hälfte herabgesetzt. Bei der Verhängung von Geldstrafen ist darauf zu achten, daß sie das Fortkommen des Beschuldigten nicht gefährden. Die Voraussetzungen für die bedingte Strafnachsicht, bedingte Entlassung, für die Erteilung der Weisung oder Verhängung von Maßnahmen der Bewährungshilfe sind erleichtert. Für die Staatsanwaltschaft besteht die Möglichkeit, daß von Seiten des Gerichtes eine Belehrung des Täters vorgenommen wird und von der Strafverfolgung abgesehen wird. Der außergerichtliche Tatausgleich ist erleichtert.
Ebenso besteht für das Gericht die Möglichkeit, das Strafverfahren vorläufig einzustellen. Begeht der Täter keine strafbaren Handlungen mehr, kann das Strafverfahren endgültig eingestellt werden.
In Jugendstrafsachen werden Verhandlungen von Richtern und Staatsanwälten geführt, welche über besondere Kenntnisse auf den Gebieten der Psychologie, Sozialarbeit aufweisen und über besonderes pädagogisches Verständnis verfügen müssen.

Über Jugendliche ist die Verwahrungs- und Untersuchungshaft nach Möglichkeit nicht zu verhängen. Wenn die Haft verhängt werden muß, sind jugendliche Häftlinge zu beschäftigen und, wenn möglich, zu unterrichten.
In der Hauptverhandlung kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, um die Stigmatisierung des jugendlichen Täters zu verhindern. Privat- und Subsidiaranklagen - wie sie in Presseprozessen häufig vorkommen - sind gegen Jugendliche unzulässig.
Bei der Behandlung jugendlicher Strafgefangener ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, daß diese in der Öffentlichkeit nicht bloßgestellt werden.

Die Geschichte des Jugendstrafrechtes in diesem Jahrhundert ist - mit Ausnahme der Barbarei zwischen 1938 und 1945 - eine Geschichte der Zurückdrängung der Freiheitsstrafe (Bogensberger in "Haft und Rechtsschutz").

Vom Vertreter der Richtervereinigung, dem Linzer Richter Wolfgang Aistleitner, wird der Entwurf als "nahezu paradox anmutender Ansatz" bezeichnet. Aistleitner führt aus, daß sich der Entwurf auf keinerlei wissenschaftliche Grundlage stützen kann und der praktischen Erfahrung sowie internationalen Tendenzen widerspricht.

Der Vertreter der Rechtsanwaltschaft, der Linzer Rechtsanwalt Wolfgang Moringer, sieht in dem "völlig überflüssigen" Entwurf nur einen Griff in die Law-and-Order-Kiste.

Der Leiter der Linzer Staatsanwaltschaft, Dr. Siegfried Sittenthaler meint, wenn schon unbedingt etwas geändert werden soll, dann müßte wie in anderen europäischen Ländern ein eigenes Strafrecht für Heranwachsende bis 21 Jahren geschaffen werden.

Tatsächlich ist es so, daß in der "kritischen Altersgruppe" von 18 bis 21 Jahren in den meisten europäischen Ländern das Jugendstrafrecht flexibel bis 21 angewendet wird, wie Staatsanwältin Dr. Brigitte Loderbauer von der Plattform für ein modernes Jugendstrafrecht ausführt.

Der Entwurf des Justizministers geht den Weg des amerikanischen Strafrechtes.
In den USA sitzen mehr Menschen allein wegen Vergehen gegen die Drogengesetze in Gefängnissen als in ganz Europa für alle Verbrechen zusammengenommen. Und die EU hat 100 Millionen mehr Einwohner als die USA!
Insgesamt hat die USA eine Gefängnispopulation von 2 Millionen Menschen. 1,2 Millionen davon sitzen wegen Verbrechen ohne Gewaltanwendung. 62% der Verurteilten haben gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. Das ist eine Steigerungsrate von 1.000% gegenüber 1980.
Diese Steigerungsraten und diese Haftzahlen sind auch darauf zurückzuführen, daß in den verschiedenen Bundesstaaten der USA das Jugendstrafrecht fast völlig zurückgedrängt wurde.

"Kostenmäßig besteht zwischen der Unterbringung im Gefängnis und einer Ausbildung in einer Top-Universität kein Unterschied; der Hauptunterschied liegt im Lehrplan." (Amory Lovins, "Ökokapitalismus").

Der Ministerialentwurf beziffert die Mehrkosten des Gesetzesvorschlages aufgrund der daraus resultierenden längeren Haftzeiten für die jungen Erwachsenen mit jährlich elf Millionen Schilling (!).
Es liegt an uns zu entscheiden, ob wir elf Millionen Schilling jährlich mehr in neue Studienplätze oder in neue Gefängnisse investieren wollen.


(Der vorstehende Artikel ist im APA-NPO-Journal 10/2000 abgedruckt.)

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