Verfassungs- und Verwaltungsrecht


Herbergssuche 1992 bis 1993

Österreich ist eines der reichsten Länder der Erde. Wir haben eine Wohlfahrtsstaat. Bei uns kommen diese erschütternden Szenen á la Bethlehem im Jahre 0 nicht vor. Oder doch? Österreichs Ausländer- und Staatsbürgerschaftsgesetze machen es möglich.

Herr J.F. ist nach dem 2. Weltkrieg in Österreich geboren. Sein Vater ist Südtiroler, seine Mutter Wienerin. Herr J.F. hat Österreich nie verlassen, nie verlassen können. Er hat keine Papiere, keinen Führerschein, keinen Personalausweis, keinen einzigen amtlichen Lichtbildausweis. Den einzigen Ausweis, den er besitzt, ist das Wehrdienstbuch des österreichisches Bundesheeres. Herr J.F. möchte sich beruflich verbessern und den Staplerführerschein machen. Dazu benötigt er einen Lichtbildausweis, den hat er nicht. Bei der Behörde stellt er fest, dass ihm keine Staatsbürgerschaftsurkunde ausgestellt wird. Dies wird von der Wiener Behörde damit begründet, dass sein Südtiroler Vater im Jahre 1940 "freiwillig" ausgewandert sei und die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe.

Überdies habe Herrn J.F's. Wiener Mutter, die vor dem 13.3.1938 österreichische Staatsbürgerin war, zum Zeitpunkt der Eheschließung im deutschen Reich die deutsche Staatsbürgerschaft besessen. Als Kind zweier deutscher Staatsbürger - obwohl nach 1945 geboren - sei er eben Deutscher, auch wenn seine Eltern und seinen Geschwistern nach seiner Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden ist.

Bedeutsam sei, meinte die Behörde, dass die Einbürgerung des Vaters von Herrn J.F. in das deutsche Reich im Jahre 1940 "rechtmäßig" erfolgt sei, Deutschland sei damals ein "Rechtsstaat" gewesen.

Die Vorsprache bei der Staatsbürgerschaftsbehörde in Wien ergibt, dass man gar nicht daran denke, Herrn J.F., der sich Zeit seines Lebens in Österreich - und nur in Österreich - aufgehalten hat, die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, weil er habe einige Vorstrafen, die zwar schon lange verbüßt sind, aber noch im Strafregister aufscheinen, und an einer Einbürgerung vorbestraft, das sei nicht zu denken. Außerdem könne er die italienische oder die deutsche Staatsbürgerschaft problemlos bekommen. Das stimmt. Herr J.F. möchte aber nicht die deutsche und auch nicht die italienische Staatsbürgerschaft, sondern die Staatsbürgerschaft seiner Heimat und der Heimat seiner Mutter, das ist nun einmal Österreich.

Die Behördenverfahren schleppen sich 3 Jahre lang hin, Herr J.F. kann nicht heiraten, weil er eben keine Urkunden besitzt, sein Kind ist "unehelich", weil die Behörden weiterhin auf stur schalten.

Nach 3 Jahren Kampf hat nunmehr aber der VwGH die Behördenentscheidungen richtiggestellt und festgehalten, daß Herr J.F. österreichischer Staatsbürger ist und immer war. Der VwGH hält weiters fest, dass die Umsiedlung der Südtiroler in das deutsche Reich ebenso völkerrechtswidrig war wie die Unterstellung der Österreicher und der deutschen Staatsbürgerschaft und dass für die Verweigerung der Ausstellung einer Staatsbürgerschaftsurkunde an Herrn J.F. keine Gesetzesgrundlage besteht.

Nach 3 Jahren Behördenverfahren, nach 3 Jahren Unsicherheit, die es mit sich gebracht haben, dass Herr J.F. nicht heiraten konnte, dass sein Kind als "unehelich" gilt, nach einem Leben ohne Personalausweis, Reisepass, Staatsbürgerschaftsurkunde, ohne all die Papiere, die einen Menschen zum Österreicher machen, besteht für Herrn J.F. jetzt die Möglichkeit der beruflichen Fortbildung, einer Urlaubsreise ins Ausland.

Wem diese Geschichte über Behördenwillkür unverständlich oder erfunden erscheint, kann sie in der Entscheidung VwGH Zl. 94/01/0787 vom 6.9.1995 nachlesen.

Wer einige Minuten Zeit zur Verfügung hat, kann darüber nachdenken, wie es jenen Leuten ergeht, die nicht das Geld, die Ausdauer und die Hartnäckigkeit haben, ihre Sache vor den VwGH zu bringen.

Anwaltskanzlei Unterweger, Buchfeldgasse 19a, A-1080 Wien, www.unterweger.co.at